Ausgewählter Beitrag

17. Dezember

Gefährten der Wikinger und Höhlenmenschen


Ein Schneesturm ist über Island weggebraust. 48 Stunden blies er ohne aufzuhören; dann brachen blasse Wintersonnenstrahlen durch die tiefe Wolkendecke und die Pferde schüttelten sich die Schneemassen aus dem Pelz. Unbeweglich hatten sie dagestanden, die Kruppen gegen den Sturm gerichtet, die Köpfe tief gesenkt. Sie liefen nicht weg – wohin auch? Sie ließen den Sturm über sich ergehen, wie ihre Vorfahren es seit unvorstellbar grauer Vorzeit taten: reglos, erduldend und somit Kräfte sparend. In den Zotteln der Mähnen und der Schöpfe hängen kleine Klunker aus gefrorenem Schnee, aber die Ohren sind dem Entgegenkömmling entgegengespitzt – der Sturm ist vorüber, nun sind sie wieder wach und munter, werden gleich beginnen, den Schnee mit den Hufen wegzuscharren, um darunter spärliches Wintergras zu finden. Nach 48 Stunden knurrt der Magen.

Sie sind Urwelt-Tiere in unserer Welt der Überschallgeschwindigkeit.
Liebenswerte Drachen – Gefährten von Höhlenmenschen und Wikingern.
Das isländische Pferd ist ein merkwürdiges und apartes Pferd; man muss es beobachten und studieren, um es zu verstehen. Mögen die Pferde noch so frisch sein, wenn sie dastehen, sehen sie alle gleich verschlafen und leblos aus, und es ist nicht leicht, die müden von den frischen zu unterscheiden. Man möchte sagen: diese Pferde besitzen eine große Selbstbeherrschung, eine ausnahmsweise große Kraft, Ausdauer, Kaltblütigkeit, Gutmütigkeit und Duldsamkeit. Zweifellos übertreffen sie alle Pferde in ihrer Größe an Kraft, Zuverlässigkeit und Frömmigkeit, ja Rasse gegen Rasse, als Dauerpferde und Gewichtsträger im Durchschnitt auch alle Großpferde. Wir müssen lange suchen, bis wir ein Pferd finden, das einen Reiter von 100 Kilo so leicht und weit trägt, wie es viele isländischen Pferde – und dazu noch auf Weichfutter – tun.

Wenn wir am Weidezaun stehen, schauen unseren Pferden zu – ganz unvermittelt quillt zärtliche Wärme in unseren Herzen auf. Ihre Simplizität bezwingt uns, ihr völliges Einssein mit Eis und Schnee und Nieselregen, mit den hartgefrorenen Böden und dem tiefen grauen Januarhimmel, mit dem Matsch am Rande gurgelnder Schmelzbäche im März. Sie dösen, faulenzen, gähnen. Mit hörbarem Plumps lassen sie sich in den Schlamm fallen, wälzen sich mit Behagen darin – vielleicht, weil die trockene Kruste so schön warm hält?

Sie sind älter als der Frack zu Pferde – sie sind Pullover-Pferde, und man müsste sie reiten, wie man in einen wolligen, weiten Pullover hineinschlüpft: so bequem und selbstverständlich. Den älteren unter uns fällt das manchmal schwer, weil ein ja festgefügtes Bild der Reiterei jedem vor Augen steht. Die Jungen, die Individualisten und Naturverbunden freilich werden leicht und freudig mit diesen Pferden fertig, lieben sie schrankenlos. Gibt es einen beglückerenden Augenblick als ein Kind und Pferd putzfrech einer verschlammten Furt entsteigen zu sehen, die sie – unbekümmert um Wind und Kälte – aus lauter Spaß am Matschen und Spritzen gerade zum dritten Mal durchquerten? Welche Wonne für den Erwachsenen, vier Beine mehr zu haben und durch Wasserlöcher zu stieben, mit wehenden Mähnen in den Frühling zu tölten, lachend durch Regenschauer zu galoppieren. Die Verwandlung des kräftesparenden Wildpferdes in ein kräfteverschwendendes Reitpferd findet ja bei jedem Aufsitzen wieder statt.

Manchmal fragen mich Pferdeleute entsetzt, wie wir für so was nur so viel Geld ausgeben können (denn auch teuer sind diese Ungeheuer noch), und ihr Abscheu gipfelt in der Feststellung, dass wir dafür doch beinahe ein – richtiges – Pferd kaufen könnten.

Ich frage nicht zurück, ob denn diese richtigen Pferde auch so unbekümmert am vereisten Gras knabbern – ob sie ein verregnetes Frühjahr im Freien überstehen, ob sie sich trittsicher und ohne Sehnenschäden über Schotter bewegen, am Wegrain entlang tölten, mit tiefgesenkter Nase flink über vereiste Waldpfade rennen – ob man sie immerzu auf der Weide sich selbst überlassen kann, wenn man keine Zeit zum Reiten hat oder mit der Familie übers Wochenende zu Tante Emmas Hochzeit fährt – ob sie, frisch gewaschen vom Regen, getrocknet vom Wind, seidenweiche lange Haare haben – ob sie (dies vor allem) auch mit fingerdicker Schmutzschicht noch zum Verlieben aussehe und ob sie an einem Tag einen 100 kg schweren Mann 70 – 100 km weit tragen, als wäre es ein Spaziergang. Ich frage es nicht. Denn wem bei ihrem Anblick nicht einfach das Herz aufgeht, der wird’s auch niemals begreifen...

(Auszug aus einem Buch von Ursula Bruns)

Bayerhof Aktuell 17.12.2005, 08.13

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